Waldmannshofen
1327
Predigt zur Kirchweih in Waldmannshofen Waldmannshofen, 27.10.2024 Pfarrerin Simone Mielke Im Jahr 807 wurde Waldmannshofen zum ersten Mal urkundlich erwähnt – so habe ich es auf der Internetseite von Waldmannshofen gelesen, der ich mein gesamtes Wissen über das Dorf und die Kirche verdanke. Sollte ich falsch liegen, dürfen Sie mich gerne korrigieren. Das Jahr 807 also. Es war die Zeit, in der Missionare durch die Gegend zogen und den Menschen von Jesus erzählten. Schon bald gab es auch in Waldmannshofen und Umgebung Christen, die sich kleine Kirchen und Kapellen bauten, um dort miteinander Gottesdienste zu feiern. Auch in Waldmannshofen wurde eine Kapelle gebaut. Wie sie aussah, wissen wir nicht mehr. Wann genau sie gebaut wurde, ist auch nicht überliefert. Doch klar ist: 1317 gab es dort bereits einen Kaplan – also eine Art Vikar, der die Gottesdienste leitete. Das geschah nach der damals üblichen Ordnung und bedeutet, dass der Priester die Messe auf Latein feierte. Beim Abendmahl erhielten die Gläubigen nur die Hostie. Dafür aber gehörte das Abendmahl zu jeder Messe dazu. Gesungen wurden gregorianische Gesänge. Zwei Jahrhunderte ging das so. Irgendwann in dieser Zeit wurde aus der Kapelle mit dem Kaplan eine große Kirche mit Pfarrer. Doch an den Gottesdiensten und Gebräuchen änderte das nicht viel. Dann machte 1517 ein Mönch namens Martin Luther im fernen Wittenberg mit Thesen gegen die katholische Kirche auf sich aufmerksam. Seine Lehre verbreitete sich schnell im ganzen Land und brachten nicht nur jede Menge Unruhe, sondern auch große Veränderungen mit sich. Schon früh entschloss sich der damalige Waldmannshöfer Pfarrer, der Augustinermönch Friedrich Süß, Luthers Lehre zu folgen. Man kann also davon ausgehen, dass er deutsch predigte, das Abendmahl mit Brot und Wein feierte und im Gottesdienst deutsche Lieder singen ließ. Fest steht, dass Friedrich Süß heiratete und Kinder bekam. Unvorstellbar für einen Mönch! Allerdings blieb er nicht lange in Wadmannshofen, sondern zog weiter nach Würzburg. Dort predigte er die evangelische Lehre und wurde deswegen 1528 verbrannt. Die Würzburger Domherren waren sich sicher: diese neue Lehre ist falsch und gehört verboten, denn sie widerspricht unserem Glauben und allen unseren Traditionen. Auch die Waldmannshöfer mussten sich überlegen, wie sie zu den Predigten ihres ehemaligen Pfarrers standen. Sie mussten sich fragen: was halten wir von dieser neuen Lehre? Wollen wir diesem neuen Glauben folgen und neue Traditionen entwickeln? Oder lassen wir lieber alles so, wie es schon immer gewesen ist? Es ist eine Entscheidung, die jede Generation neu treffen muss. Jede Generation steht vor der Frage: welche Traditionen und Glaubensinhalte von unseren Eltern und Großeltern wollen wir weiterführen? Welche Traditionen und welche Glaubensinhalte finden wir für uns neu? Letztlich geht es um die Frage: Wer ist Gott für uns und wie wollen wir ihm dienen? In unserem Predigttext zum heutigen Kirchweihsonntag stellt Josua diese Frage seinem Volk. Er sagt: Ehrt den HERRN und dient ihm treu und beständig. Trennt euch von den Götzen, die eure Vorfahren anbeteten, als sie jenseits des Euphrat und in Ägypten lebten. Dient allein dem HERRN!  Wenn ihr aber nicht bereit seid, dem HERRN zu dienen, dann entscheidet euch heute, wem ihr dienen wollt: den Göttern, denen eure Vorfahren jenseits des Euphrat dienten oder den Göttern der Amoriter, in deren Land ihr heute lebt? Ich und meine Familie werden jedenfalls dem HERRN dienen.«  Das Volk antwortete: „Wir wollen den HERRN niemals verlassen, um anderen Göttern zu dienen.“ (Josua 24,14-16; Bibelübersetzung: Neues Leben) Das Volk Israel entschied sich damals, nicht den Traditionen seiner Vorfahren zu folgen und mehrere Götter anzubeten. Es entschied sich, Gott allein zu verehren und fand dafür eigene Formen. Die Waldmannshöfer hielten es in der Reformationszeit ähnlich. Sie wurden evangelisch und bekamen 1568 ihren ersten evangelischen Pfarrer. Das war die Entscheidung, nicht den katholischen Traditionen der Eltern und Großeltern zu folgen, sondern die evangelische Lehre anzunehmen und neue Traditionen zu etablieren. Das bedeutete: Die Heiligenverehrung wurde abgeschafft, der Kauf von Ablassbriefen ebenfalls. Wichtig wurde die verständliche Predigt in deutscher Sprache, die den Menschen auf vollkommen neue Weise von Gott erzählte. Sie stellte seine Liebe und seine Vergebung in den Mittelpunkt, anstatt mit Hölle und Gericht zu drohen, wie es bisher üblich gewesen war. Und sie fragt: willst du diesem Gott vertrauen und ihm dienen? Die Waldmannshöfer antworteten darauf mit einem unmissverständlichen Ja. Sie legten die Traditionen ihrer Vorfahren ab und fanden neue Formen, Gott so zu dienen, wie es ihnen angemessen schien. Dieser Glaube begleitete sie in den guten Zeiten. Und er trug sie durch die schwere Zeit des 30jährigen Krieges, als Krieg und Pest wüteten. Aus den umliegenden Dörfern flüchteten sich damals Menschen in das sichere und gut befestigte Waldmannshofen. Ihre neugeborenen Kinder wurden hier in der Kirche evangelisch getauft. Dass sie evangelisch bleiben durften, dafür kämpften die Waldmannshöfer höchst engagiert. 1632 starb die evangelische Familie der Freiherrn von Rosenberg aus, der Waldmannshofen bis dahin gehört hatte. Nun gehörte es der Familie von Hatzfeld. Die jedoch war katholisch und wollte, dass Waldmannshofen ebenfalls katholisch werden sollte. Die Menschen standen also wieder einmal vor der Entscheidung: sollten sie den Glauben und die Traditionen der Eltern und Großeltern ablegen und stattdessen katholisch werden? Die Antwort war ein deutliches: Nein. Lieber nahmen die Menschen in Waldmannshofen einen jahrzehntelangen Kleinkrieg mit der neuen Herrscherfamilie auf sich, als ihren evangelischen Glauben aufzugeben. Nicht immer muss man sich für das Neue entscheiden. Vor allem dann nicht, wenn das Neue in Wirklichkeit etwas ganz Altes ist, das man längst überwunden glaubte. Da die Herrscherfamilie den evangelischen Glauben nicht unterstützte, wurde die Kirche nur notdürftig erhalten. 1750 klagte der Pfarrer über das dunkle und baufällige Gebäude. Und er beschwerte sich, dass die Gelder, die für einen Neubau gesammelt wurden, für die Schule und andere Dinge verwendet wurden. Die Kirchengemeinde fand das nicht so schlimm. Sie wollte gar keine neue Kirche, sondern war mit ihrer alten zufrieden. Vor allem war sie damit zufrieden, keinen Neubau finanzieren zu müssen. Doch dieses Mal lag die Entscheidung, ob alt oder neu, nicht bei ihr. Waldmannshofen gehörte inzwischen zu Preußen und die neue Regierung setzte den Neubau durch, der 1806 fertig wurde. Ein Teil des alten Turms bleib bestehen, doch das Kirchenschiff wurde abgerissen. Hoch und hell wurde der neue Kirchenraum erbaut – so, wie wir ihr heute kennen. Altar, Kanzel und Orgel wurden übereinander zur Ansbacher Kanzelwand angeordnet, wie es im Ansbacher Gebiet damals üblich war. Der alte Turm wurde repariert und das Dach wurde ausgebessert. Doch die Freude der Kirchengemeinde hielt sich in Grenzen. Besonderen Ärger verursachte die neue Sitzordnung, welche die preußische Verwaltung durch das Los entschieden hatte. Die Waldmannshöfer legten Protest ein. Sie wollten ihre alte Sitzordnung wiederhaben. Das war ihnen so wichtig, dass der Streit erst sechs Jahre später beigelegt werden konnte. Gegen die neue Kirche hatten sie sich nicht wehren können, doch die alte Sitzordnung wollten sie sich nicht nehmen lassen. Und sie zeigten deutlich: wenn man Dinge neu macht, darf man nicht alles radikal verändern. Es ist wichtig, dass manche Traditionen erhalten bleiben, die eine gewisse Kontinuität zu Vorherigen gewährleisten. Die Menschen müssen spüren, dass die Kirche trotz aller Veränderungen noch immer ihre Kirche ist und bleibt. In den letzten zwei Jahrhunderten ist unsere Kirche überwiegend unverändert geblieben. Trotzdem hat sich immer wieder neu die Frage gestellt: wollen wir die alten und gewohnten Traditionen fortführen, oder entwickeln wir neue? Jede Generation musste für sich neu überlegen, wer Gott für sie ist und auf welche Weise sie ihm dienen wollte. Manche Bräuche wurden beibehalten. Andere haben sich verändert. Und wieder andere wurden nach einiger Zeit wieder neu entdeckt. Zum Beispiel die Psalmen. Für die Menschen im Mittelalter gehörten die Psalmen selbstverständlich zum Gottesdienst und so wurden sie sicherlich in der ersten Kirche gebetet. Im württembergischen Gottesdienst spielten sie lange keine Rolle. Erst in den 1960ern wurde das Psalmengebet wiederentdeckt und neu im Gottesdienst eingeführt. Heute gehört es selbstverständlich wieder dazu. Auch die Musik in unseren Gottesdiensten hat sich über die Jahrhunderte verändert. Manche Lieder werden seit Jahrhunderten gleich gesungen, andere Lieder sind in neuerer Zeit entstanden. Die Art wie wir Abendmahl feiern, hat sich auch geändert. In unserer Kirche sind neben dem Altar zwei Türen, weil in der Anfangszeit dieser Kirche Wandelabendmahl gefeiert wurde: die Menschen bekamen die Hostie, gingen durch die eine Tür und hinter dem Altar herum. Sie kamen durch die andere Tür heraus, erhielten den Wein und setzten sich wieder in die Bank. Heute stehen wir meistens im kleinen Kreis am Altar. Auch Hochzeiten und Beerdigungen feiern wir nach anderen Traditionen als früher – allein die Coronazeit hat vieles verändert. Doch nicht geändert hat sich, dass Menschen voller Vertrauen auf Gott hierherkommen. Vor allem dann, wenn sich in ihrem Leben Dinge drastisch verändern – wenn sie sich von einem lieben Menschen verabschieden müssen, ein Kind in ihrem Leben begrüßen oder beschließen, mit einem geliebten Menschen für immer gemeinsam durchs Leben zu gehen. Obwohl viele Menschen unserer Kirche den Rücken gekehrt haben und obwohl viele mit unserer Kirche und dem Glauben an Gott nichts mehr anfangen können – dennoch kommen noch immer Menschen in diese Kirche. Wir kommen in diese Kirche, die so viele neue und alte Traditionen gesehen und manche Veränderung durchgemacht hat. Wir bringen unseren Glauben mit, den wir meistens von Eltern und Großeltern, Lehrern, Pfarrern und anderen Menschen gelernt haben. Wir bringen auch unsere Erfahrungen mit den hier üblichen Traditionen mit – wie man Gottesdienst feiert, wie man sich in einer Kirche verhält, und wie wir unsere Kirche kennen und schätzen. Manches ist uns sehr wichtig und wir tun alles dafür, es zu bewahren. Anderes kommt uns nicht mehr zeitgemäß vor und wir probieren Dinge aus, die es nie zuvor gegeben hat. Wir stehen dabei immer wieder neu vor der Frage, wie wir unseren Glauben miteinander leben wollen. Welche Traditionen helfen uns? Und wo müssen wir für uns neue Traditionen finden? Am Ende geht es um die eine Frage, die sich den Menschen hier in Waldmannshofen über die Jahrhunderte immer wieder neu gestellt hat. Es geht um die Frage, die Josua seinem Volk stellt: wer ist Gott für uns und wie wollen wir ihm dienen? Amen.
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FA11-2024
Festpredigt
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